Tourbeschreibung - Tag 7
Von Flúðir nach Landmannalaugar

Der neue Tag in Flúðir zeigt sich zwar mit ca. 6 Grad kühl und bewölkt, aber zumindest trocken. Da es Sonntag ist, erwarten wir auch ein entsprechendes Wetter, und wir sollten nicht enttäuscht werden.
Nach dem Abbau schütteln wir das Außenzelt so gut es geht aus, um es nicht allzu nass einzupacken. Die Ortlieb-Packsäcke, die wir für Zelt, Isomatte und Schlafsack dabeihaben, sind natürlich in beide Richtungen wasserdicht, so dass alles, was man nass in sie hineinpackt, keine Chance hat von alleine zu trocknen. Bereits um 8:00 Uhr brechen wir ohne Frühstück auf, denn unser Ziel heute ist das rund 110km weit entfernte Landmannalaugar und ich habe so meine Bedenken, ob wir diese sportliche Etappe schaffen.
Wir fahren nun zunächst die Straße 30 weiter nach Süden in Richtung Reykir, wo etwa einen Kilometer vor dem Ort die 32 nach Osten abzweigt. Schon kurz nach unserem Aufbruch zeigen sich die ersten Abschnitte blauer Himmel und es wird zunehmend sonniger und wärmer. Die Landschaft bis Reykir und dann auch an der 32 bis Árnes ist dem schottischen Gras- und Hügelland manchmal vergleichbar. Im weichen Licht der frühen Sonne und in der klaren frischen Luft blickt man auf weites satt grünes Grasland, dass in grün bewachsene, teils schroffe Hügel übergeht und immer wieder von kahlen Felsen unterbrochen ist. In Árnes nutzen wir den Windschatten einer Sporthalle, um dort unser ausgefallenes Frühstück nachzuholen.
Die landschaftliche Idylle endet bald hinter Árnes, denn hier beginnt das Grün vor einer sich immer weiter ausdehnenden Sand- und Gröllwüste zu weichen. Diesen Abschnitt, der über etwa 25km bis kurz vor Þjóðveldisbær andauert, würde ich durchaus als beschissen und langweilig qualifizieren. Viel abwechslungsreicher wird es dann erst wieder vor Þjóðveldisbær. Der "Ort" selbst umfasst eigentlich nur das Wasserkraftwerk, die dazu gehörenden Verwaltungsgebäude und einige Wohnunterkünfte für die Bereitschaftsmannschaften des Kraftwerks. Vor dem Ort jedoch hat man bei Stöng eine isländische Farm entdeckt und wieder ausgegraben, die auf das Mittelalter datiert und bei einem Vulkanausbruch in geschichtlicher Zeit von Asche und Lava verschüttet wurde. Nur etwas weiter Richtung Þjóðveldisbær ist in unmittelbarer Nähe zur Straße der Nachbau einer isländischen Farm zu besichtigen. Das vollständig begrünte und im Langhaus-Stil errichtet Gebäude ist die Rekonstruktion einer Original-Farm aus der Zeit der Landnahme und beherbergt im Inneren ein Museum, das die Lebensweise und den Alltag der Isländer aus dieser Zeit darstellt.
Man kann darüber streiten, ob die junge Isländerin an der Museumskasse nun einen Traumjob hat oder nicht. Tatsache ist, dass die Anzahl der Gäste, die sie an diesem Tag durch das Museum führen muss, sich nur irgendwo zwischen 1 und 10 bewegt. Die jungen Katzen der Museumsangestellten haben, wie man sieht, jedenfalls auch ein stressfreies und glückliches Leben.
Vor uns liegt nun der bedeutende Gletscherfluss Þjórsá, der in mehreren Stufen gestaut und zur Stromgewinnung genutzt wird. Wir müssen uns jetzt für eine der beiden Möglichkeiten entscheiden, die es zu seiner Überwindung gibt: der einfachere und sicher leichter zu findende Weg ist der über die Straße 32 nach Nordosten, wo die 32 den Fluss in 8km Entfernung quert, dann noch 6km weiter nach Osten und schließlich wieder zurück nach Südwesten an die Þjórsá heranführt bis genau gegenüber unserer jetzigen Position. Die F225, jene Hochlandpiste also, die nach Landmannalaugar führt, zweigt dann sogar noch etwas weiter südlich von der 32 nach Osten ab. "Island per Rad" beschreibt eine Möglichkeit, wie man einen Teil dieses knapp 25km langen Umweges umgehen kann, indem man die Þjórsá über eine nördlich oberhalb von Þjóðveldisbær liegende Stauanlage quert, die auf unserer Karte (vgl.  "Reise-Literatur") nicht eingezeichnet ist. Die Suche nach der dort beschriebenen Route gestaltet sich unerwartet schwierig und führt uns als erstes über die Nordost-Flanke des Búrfell mit einer fast 20-prozentigen Steigung aus dem Tal heraus. Hier geht wegen des losen Untergrundes auf dem Anstieg nichst mehr außer Schieben, und auch das nur mit vielen Pausen. Auf jetzt nicht mehr nachvollziehbaren Wegen mit streckenweise losem sandigen Belag, auf dem fahren unmöglich ist, kriechen wir langsam immer weiter nach Norden, befinden uns dabei aber immer noch auf der westlichen Seite des Flusses. Viel weiter nördlich, als es der Radreiseführer hätte vermuten lassen, kommt endlich die Querung der Þjórsá und von dieser Stelle aus können wir bereits das offizielle Brückenbauwerk sehen, auf dem die Straße 32 entlangführt. Wir sind der Meinung, dass uns das Experiment zwar keinen allzugroßen Zeitvorteil gebracht hat, dafür jedoch beim Aufstieg viele beeindruckende Ausblicke in das unter uns liegende Tal und die Bergwelt zu beiden Seiten der Þjórsá. Der Versuch, unsere Fahrstrecke zu rekonstruieren, führte zu dem Ergebnis, dass wir höchstwahrscheinlich auf brandneue Betriebswege des Stauanlagen-Betreibers geraten waren, die weder auf unserer Karte noch im Radreiseführer beschrieben waren.
After this shit happened fahren wir, jetzt auf der Straße 32, wieder zurück in südlicher Richtung, um den Abzweig der Hochlandstrecke zu finden. Die Irrfahrt entlang der Þjórsá hat uns jedoch so zugesetzt, dass wir jetzt erst einmal eine längere Pause brauchen. In einer Senke sichten wir einen Lavafelsen, der groß genug ist, um in seinem Windschatten zu rasten.
Nach einer dreiviertel Stunde Rast geht's wieder los: wir wollen nun so schnell wie möglich zum Abzweig der F225, weil wir sehr neugierig auf diese Straße sind. Schließlich handelt es sich um die erste echte Hochlandpiste auf unserer Island-Tour und über die Hochlandtsraßen haben wir so einiges im Vorfeld gelesen: die Beschreibungen gingen von "gut befahrbar und nicht schwieriger als andere ungeteerte Straßen" bis hin zu Aussagen wie "sehr schlechter Zustand mit vielen Treibsandstellen, lange unbefahrbare Abschnitte und reißende Gletscherflüsse, die nur schwer gefurtet werden können".
Als wir dann den Abzweig der F225 mit seinen vielen Wegweisern - unter dem schon so mancher sein Rad fotografierte - erreichen, sind wir zunächst einmal einfach nur beeindruckt. Vor uns tut sich eine großartige Vulkanlandschaft mit weiten schwarzen Aschefeldern und einem stahlblauen Himmel darüber auf. Am Horizont der großen Ebene, die sich südlich von uns erstreckt, sehen wir die  "Hekla", die mit ihren 1450 Metern Höhe der ausbruchsfreudigste Vulkan Islands ist.
Das Gelände, das wir nun durchfahren, hat einst in den 60'er Jahren der NASA als Testgelände zur Vorbereitung der Mondlandung gedient - wen wunderts.

Aus den endlosen Feldern mit schwarzer vulkanischer Asche erheben sich zahlreiche bizarre Lavafelsen, die nicht selten wie künstlich geschaffene Skulpturen wirken. Eingerahmt wird diese Szenerie von weit entfernten Bergen, die noch relativ viele Schneereste zeigen. Hier und da sehen wir auch Berge, die aus unterschiedlich gefärbten Gesteinen bestehen: es wechseln sich rötliche, ockergelbe, dunkelgrüne und braune Farbtöne mit dem vorherrschenden schwarz ab. Und am Wegesrand stehen unzählige von skurilen Steinmännern, die von Reisenden als Glücksbringer aufgeschichtet werden.
Einige male müssen wir auch Gletscherflüsse überqueren, die den Straßenverlauf kreuzen. Für mich ist das eine ganz neue Erfahrung, habe ich doch im belgischen Venn oder der Eifel allenfalls mal ein paar schmale Rinnsale überwinden müssen. Hier jedoch haben wir es gleich mit bis zu 30 Meter breiten, oft aus mehreren Armen bestehenden und eiskalten Flüssen zu tun. An der ersten Furth haben wir noch einen entgegenkommenden Jeep abgewartet, um uns das ganze zunächst einmal in Ruhe anzuschauen. Es ist schnell klar, dass es überhaupt nichts bringt, die Überquerung an der schmalsten Stelle zu versuchen. Denn die ist in den seltensten Fällen auch die seichteste. Vielmehr sollte man auf den Bereich des Flusses achten, wo die Wasseroberfläche am rauesten erscheint: hier liegen die Schotter meistens sehr knapp unter der Oberfläche und das überqueren ist problemlos möglich. An der tiefsten Stelle reicht das Wasser bis etwa zur halben Höhe der Packtaschen, weswegen es nicht erforderlich ist, die Taschen abzunehmen. Man kann das natürlich trotzdem tun, um sein Fahrrad zu tragen, was sicherlich für die Naben, das Tretlager und die Kette mitsamt Schaltung schonender ist. Die Fluss-Schotter sind übrigens meistens so abgerundet, dass man das Wasser ohne weiteres auch barfuß durchwaten kann.
Insgesamt gewinne ich den Eindruck, dass man die Hochlandpiste F225 mit dem Rad gut befahren kann, zumindest bei den Wetterverhältnissen, die zum Zeitpunkt unserer Tour herrschen. Das einzige ernstere Problem stellen die vielen "Quicksands" dar, weiche Sandstellen, die nicht zu erkennen sind und meist zum Sturz führen. Einmal musste das auch mein Mitfahrer Ulli erfahren, der bei dieser Gelegenheit eine Kostprobe des Sandes nehmen konnte.
Nach insgesamt sechs Furthen und der Umfahrung des schönen kleinen Bergsees Frostastáðavatn erreichen wir gegen 22 Uhr unser Ziel,  "Landmannalaugar". Übersetzen kann man den Namen mit "Die heißen Quellen der Leute von Land". Denn die geothermale Aktivität in der dünnen Erdkruste hat hier zur Entstehung zahlreicher heißer Quellen geführt, die einige natürlich aufgestaute Bäche so aufheizen, dass man in ihnen zu jeder Jahreszeit baden kann.
Landmannalaugar liegt in einer Talsenke, die ringsum von farbenprächtigen Berghängen umgeben ist. Es ist das gleiche Farbenspiel, dass uns schon auf der Hinfahrt aufgefallen ist. Im Reiseführer lese ich, dass die vielen Farben von jungen ryholitischen und liparitischen Lavagesteinen herrühren. Ein weit verbreitetes Gestein hier ist auch der Obsidian, bei dem es sich um sehr schnell erstarrte Lava handelt, die wie schwarzes undurchsichtiges Glas wirkt.
Nach dem Aufbauen der Zelte bewaffnen auch wir uns mit unseren Badehosen und brechen in Richtung der heißen Bäche auf. Eine größere Gruppe von Frauen und Männern angelsächsischer Herkunft bevölkert bereits lärmend einen Teil des Baches. Als wir näherkommen, sehen wir die indirekte Quelle des Lärms: eine 1,5 Liter-Flasche Baylies, die immer wieder die Runde macht.
Jedenfalls ist das der beste Abschluss des langen Tages, den ich mir denken kann: im dämmrigen Licht der jetzt schon tief stehenden Sonne im heißen Wasser zu sitzen und die bunten Berge ringsum zu bewundern ...
Tagesstrecke: 109 km.
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