Tourbeschreibung - Tag 14
Stadtbesichtigung Reykjavík
Eine annähernd schlaflose Nacht auf dem lärmenden Campingplatz der Hauptstadt liegt hinter mir und meine Laune ist daher so ziemlich auf dem Nullpunkt. Der Begriff "Ruhestörung" muss nach einem Aufenthalt auf diesem Platz neu definiert werden: mindestens zwei mal in der Nacht hat irgendein Bediensteter des Campingbetreibers sämtliche Mülltonnen und Altglasgefäße auf dem Gelände entsorgt. Einmal hatte ich Gelegenheit, nicht nur Ohren- sondern auch Augenzeuge dieses Schwachsinns zu sein und ich konnte den Freund des Lärms dabei beobachten, wie er fröhlich pfeifend und tanzend Müll und Flaschen durch die Gegend warf und sich dabei mit einem Walkman und Ohrhörern vor dem selbst erzeugten Krach schützte. Fluchend kehrte ich zurück ins Zelt und stopfte mir Stücke von einem Papiertaschentuch in die Ohren - aber es half nicht viel.
Erst am frühen Morgen finde ich etwas Schlaf und nach dem späten Frühstück in schweigsamer und gereizter Atmosphäre, brechen wir zur Besichtigung der Stadt auf, die wir wegen der großen Entfernungen mit dem Fahrrad planen. Schon bald nach dem Aufbruch in Richtung Stadtzentrum, wenn man davon in Reykjavík überhaupt sprechen kann, zieht sich der anfangs noch sonnige Himmel immer weiter zu und zur Kälte dieses Morgens kommt nun auch noch leichter Sprühregen hinzu. Vielleicht liegt es am Wetter, vielleicht aber auch wirklich an der Stadt selbst. Tatsache ist jedenfalls, dass Reykjavík auf mich überhaupt keinen Eindruck ausübt.
Alle Berichte, die man in Reiseführern über diese Stadt lesen kann, sprechen von einer sich im Aufbruch befindenden Metropole, die sich selbst als Weltstadt gibt und versteht. Man kann auch viel über eine gute und florierende Musik-, Kneipen- und Gaststättenszene lesen und ohne Zweifel ist Reykjavík das anerkannte kulturelle Zentrum Islands und sein Tor zur Welt.
Als jemand, der aber auf einer Island-Rundreise einen Tag lang diese Stadt besichtigen will, kann man jedoch zur o.g. Szene und zum Selbstverständnis der Menschen hier und ihrer Stadt keinen Zugang finden.
Was bleibt, ist der Anblick einer völlig chaotisch gewachsenen Großstadt, die weder einen richtigen Stadtkern, noch eine typische Altstadt aufzuweisen hat. Ansprechende Häuser und Gärten oder ausgedehnte Grünanlagen wie in Akureyri wird man hier vergebens suchen. Was annähernd derartige Erwartungen erfüllt, ist vielleicht der Stadtteich "Tjörnin" mit seinen Wiesen und Bäumen in der Nähe der Parlamentsgebäude.
Besichtigt man mit einer bestimmten Erwartungshaltung den Hafen, so wird man auch hier wieder enttäuscht: ein Kanonenboot der isländischen Küstenwache, ein Wahl-Beobachtungsschiff und einige kleine Privatyachten von Menschen, die sich aus unerklärlichen Gründen die Gewässer um Island für ihr Hobby ausgesucht haben, stellen die ganze Pracht dieses ansonsten durch und durch industriell geprägten Hafens dar.




Ich glaube, man muss hier leben und arbeiten, um sich mit Reykjavík und seinem Weltstadtanspruch identifizieren zu können und um schließlich dann irgendwann diese Stadt zu lieben und auf sie stolz zu sein. Dann wird man sicherlich die schönen Seiten für sich entdecken und schätzen lernen.
Ich als Fahrrad-Tourist kann Reykjavík mit seiner Hektik und Enge, insbesondere nach 12 Tagen Radfahren in fast menschenleeren Naturlandschaften, jedenfalls nichts abgewinnen. Unsere Stationen beschränken sich daher auf wenige markante Punkte, wie z.B. die "Hallgrímskirkja" mit dem Denkmal zu Ehren des isländischen Nationalhelden Leifur Eirícsson, dem stilisierten Wikingerschiff an der Hafenpromenade und dem Parlamentsgebäude, das heute, in der modernen Zeit, das altehrwürdige Alþing beherrbergt und daher auch als "Alþinghshúsið" bezeichnet wird".
Der Tag sollte aber trotzdem noch ein Highlight erhalten: im "Perlan", einem mit einer weitläufigen Glaskuppel überdachten Komplex von Räumlichkeiten inmitten der fünf riesigen zylindrischen Tanks, aus denen die ganze Stadt mit Warmwasser versorgt wird, besuchen wir das "isländische Sagenmuseum".
Hier wird mithilfe von lebensecht nachgebildeten Wachsfiguren die Geschichte Islands, angefangen von der Entdeckung und Landnahme bis hin zur Gesetzgebung durch das Alþing und der Christianisierung um das Jahr 1000, mit viel Liebe zum Detail nachgestellt. Bei der Rekonstruktion der Figuren, Bekleidung und der Nachempfindung historischer Szenen ist man hier mit wissenschaftlicher Präzision vorgegangen, was man als Besucher auf zahlreichen Schautafeln zur Entstehung des Museums nachvollziehen kann. Ich würde sagen, dass Museum mit seinen ausführlichen Informationen und detailgetreuen, stets den historischen Fakten folgenden Darstellungen, ist ein echter Tipp für jeden Besucher der Landeshauptstadt.
Wieder zurück auf dem Zeltplatz machen wir uns an die Zubereitung der (hoffentlich letzten) Nudeln in diesem Jahr. Besorgt denke ich an die kommende Nacht: wird der schmerzbefreite Angestellte wieder wüten und mich um den Schlaf bringen? Immerhin wird es die letzte Nacht auf Island vor dem Abflug sein und etwas Schlaf vor dem Rückreisetag wäre wirklich nicht schlecht ...
Tagesstrecke: 22 km.
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